Das Phänomen „Vererbung“

Als Genom wird das Erbgut eines Lebewesens bezeichnet. Gesteuert werden diese Gene durch molekulare, so genannte epigenome Mechanismen. Diese Mechanismen sind dafür verantwortlich, welche Informationen aus dem Erbgut verwendet oder blockiert werden. Es kann als Gedächtnis der Zelle angesehen werden, das genetische und Umwelteinflüsse miteinander koppelt. Dies geschieht durch das Biomolekül Ribonukleinsäure (RNA), das ähnlich aufgebaut ist wie die Erbsubstanz DNA. Die Übermittlung dieser Informationen an die Erbsubstanz übernehmen Methylgruppen, die die Aktivität von Genen beeinflussen und bestimmen, wie häufig ein Gen abgelesen wird. Unabhängig vom genetischen Erbgut wird durch Reaktionen dieses Biomoleküls die Informationen der Lebensgeschichte des Menschen (Ängste und Gefühle) an die nachfolgende Generation weitergegeben.

Was bedeutet das

Untersuchungen ergaben, dass Stress oder erlebte Extremsituationen Genabschnitte prägen oder verändern. Das menschliche Gehirn ist in der Lage ist, seine gespeicherten Erinnerungskonstruktionen in Form von genetischen Anlagen an die nächste Generation weiterzugeben. Im Stadium der Befruchtung können dann Lebensumstände zu molekularen Mechanismen führen, die zu einem stärkeren oder schwächeren Ablesen der Geninformationen führen. Forschungsergebnisse zeigen, dass bspw. durch Stress das Glucocorticoid-rezeptor-Gen blockiert wird. Dieses Glucocorticoid-rezeptor-Gen jedoch ist für die Bildung von Nervenzellen notwendig. Unter langanhaltendem, den Menschen belastenden Stress verläuft folglich der Aufbau und die Reifung des medialen Teils des Frontallappens und der Balken, die Verbindung beider Gehirnhälften, verbindet, schadhaft. Eine erhöhte Stresshormonbildung bzw. eine verminderte Stresstoleranz ist die Folge. Gedächtnisfähigkeit, Antriebsvermögen und menschliche Emotionen werden dadurch geprägt – manchmal sogar lebenslang.

Je früher schwierige Lebenssituationen oder Stressfaktoren die Schwangerschaft begleiten, umso tiefgreifender sind die Spuren, die im Gehirn des Kindes bleiben. Die Plastizität des Gehirns ermöglicht es, transgenerational übermittelte oder früh erlebte Traumata durch neue Erfahrungen zu ergänzen, die die Erfahrungen zwar nicht überschreiben, sie jedoch modifizieren.

Diese Schädigungen können später teilweise behoben werden, indem in sicheren Bindungen und stützenden Beziehungen das Stresssystem heruntergefahren wird. Tiefgreifende und lang andauernde negative Erfahrungen hinterlassen jedoch so tiefe Spuren, dass sie kaum korrigierbar sind.

Folgende Störungsbilder bzw. Erkrankungen werden mit schweren frühkindlichen traumatischen Erlebnissen in Zusammenhang gebracht:

  • Angststörungen
  • Autismus
  • Autoaggressionen
  • ADS
  • Asthma
  • Bindungs-/Beziehungsstörungen
  • Bipolare Störungen
  • Depressionen
  • Delinquenz
  • Dissoziative Persönlichkeitsstörung
  • Emotional instabile Persönlichkeitsstörung
  • Epilepsie
  • Essstörung
  • Funktionelle Sexualstörungen
  • Hospitalismus
  • Lähmungen
  • Migräne
  • Narzistische Persönlichkeitsstörung
  • Ohnmachtsanfälle
  • Psychogene Amnesien
  • Sexualstörungen (Sadomasochismus)
  • Schlafstörungen
  • Suizidalität
  • Zwangsstörungen

Peter A. Levine

„… Ich bin überzeugt davon, dass ein Trauma heilbar ist und dass der Heilungsprozess ein Katalysator für tief greifendes Erwachen sein kann.“

Elke Garbe

„Neuronale Verknüpfungen lockern bzw. bilden sich zurück, wenn sie längere Zeit nicht mehr gebraucht werden… Ein langsamer Heilungsprozess nach Entwicklungstraumatisierungen kann somit als das schrittweise Ersetzen destruktiver Bewältigungserfahrungen und das gleichzeitige Erlernen neuer und konstruktiver Erfahrungen verstanden werden.“